Was ist ein Vollzugsbediensteter?

Humorvoll und doch mit ernstem Hintergrund …

vorgetragen von Oberst Bauer Justizwachschule Wien, anlässlich der
Amtseinführung von Herrn Regierungsdirektor Wydra in der
Vollzugsschule Straubing
(Bayern, Deutschland)
(Jahr unbekannt – vermutlich in den frühen 1980ern)

Es ist eine Mischung aus allen Menschen, zusammengesetzt aus
Heiligen und Sündern, aus Staub und Göttlichkeit.

Er ist gezwungen, aus der Situation heraus im Augenblick
Entscheidungen zu treffen, zu deren Bewältigung ansonsten
mehrgliedrige Gremien tagelang beraten.

Ist er zu den Gefangenen freundlich – heißt es, er fraternisiert; ist er
zurückhaltend, gilt er als untauglich.

Trägt er die Knöpfe der Uniform geschlossen – gilt er als militant: hat
er einen Knopf offen – gilt er als schlampig.

Er muss auch imstande sein, sich mit zwei Gefangenen
herumzuschlagen, die doppelt so groß und nur halb so alt sind wie er.
Schlägt jemand auf ihn ein, ist er ein Feigling, verteidigt er sich, ist er
ein Rohling.

Er lernt in der Justizvollzugsschule alle Gesetzesparagraphen; er kennt
somit die Sünde, darf aber nicht teilhaben.

Er muss Diplomat, Fürsorger, rauer Bursche, Gentleman und dazu ein
Sherlock Holmes sein. Von ihm verlangt man ein Einfühlungsvermögen
à la Siegmund Freud und die Weisheit König Salomons.

Er soll stark wie Herkules und listenreich wie Odysseus sein. Wird er
befördert – sagt man ihm gute Beziehungen nach, wird er es nicht –
sagt man, er ist ein Dummkopf.

Aber auf jeden Fall ist er auch ein Künstler, denn er muss ja mit seinen
Bezügen auskommen.

Und wenn er einst stirbt, öffnen sich für ihn weit die Flügeltore des
Paradieses, und er wird in das Departement „M“ – Märtyrer
eingewiesen.

* Vollzugsbediensteter – in Österreich Justizwachebeamter oder Justizwachbediensteter